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Einsamkeit in einer vernetzten Welt – ein unterschätztes Phänomen

Ramon hat 128 Kontakte auf WhatsApp, mehr als doppelt so viele auf LinkedIn und über 500 Follower auf Instagram. Trotzdem fühlt er sich oft einsam. Liegt das daran, dass er seit drei Jahren Single ist? Doch auch Alexia, die seit neun Jahren in einer festen Beziehung lebt und zwei Kinder hat, gibt an, häufig einsam zu sein. Wie kann das sein? Wieso ist Einsamkeit in der heutigen Zeit, wo wir so «vernetzt» sind wie noch nie, so weit verbreitet – gerade auch unter jüngeren Menschen? Erfahren Sie mehr über ein unterschätztes Phänomen, seine Ursachen und die möglichen Folgen von Einsamkeit auf unsere körperliche und emotionale Gesundheit.

Einsamkeit ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Die Leere, die sich aufgrund der fehlenden Verbindungen zu anderen Menschen ausbreitet, kann auf Dauer alles sinnlos erscheinen lassen. Einsamkeit wird «als Diskrepanz zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Beziehungen» definiert (SRF). Diese subjektiv empfundene Diskrepanz kann die Anzahl der sozialen Beziehungen betreffen, aber auch deren Intensität oder Tiefe. Auch wer viele Kontakte hat wie Ramon, kann sich also einsam fühlen, denn auf Social Media bleibt der Austausch meist oberflächlich. Oft geht es eher darum, ein gutes Bild von sich zu vermitteln, als offen über Gefühle oder tiefere Themen zu sprechen. Was nützen also 500 Follower, wenn ein reales Gegenüber fehlt, mit dem man die Sorgen und Freuden des Alltags teilen kann? 

Jung, mobil und einsam

Aktuelle Studien zeigen, dass Einsamkeit zugenommen hat. Fast jede dritte Person in der Schweiz bezeichnet sich als einsam (Swissinfo). Bei Menschen ab 80 Jahren ist das Problem schon länger bekannt: Sie vereinsamen oft, weil ihre langjährigen Partner*innen und Freund*innen erkranken oder sterben; auch eigene Krankheiten und Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Hörprobleme können in eine soziale Isolation führen. Gemäss einer Gesundheitsbefragung von 2022 hat Einsamkeit jedoch auch bei Menschen zwischen 15 und 34 Jahren zugenommen. Dabei bezeichnen sich mehr weibliche Personen als einsam, ebenso sind Menschen mit Migrationshintergrund und Expats besonders von Einsamkeit betroffen.
 

Die erhöhte Mobilität gehört denn auch zu den gesellschaftlichen Hauptursachen von Einsamkeit. Früher blieb man ein Leben lang im selben Dorf, beim selben Arbeitgeber und im selben Verein, zudem traf man sich sonntags in der Kirche. Da konnten sich Bindungen festigen, «man kannte sich», auch über Generationsgrenzen hinweg. Heute sind wir weniger ortsgebunden, traditionelle Begegnungsorte (beispielsweise die Kirche) haben an Bedeutung verloren, und die einstmals stabilen sozialen Strukturen lockern sich zunehmend. Kontakte werden flüchtiger und oberflächlicher – insbesondere bei jüngeren Menschen, deren Fokus oftmals auf der Ausbildung und dem Beruf liegt. Die Kontakte aus der Kindheit und Jugend verlieren an Intensität, wenn man wegen dem Studium oder Arbeitsplatz an einen anderen Ort zieht.

Persönliche und gesellschaftliche Ursachen

Einsamkeit kann auch subjektive Ursachen haben: Introvertiertheit, Schüchternheit, die Neigung zum Grübeln, zum negativen Denken und zum Rückzug sind einige der persönlichen Faktoren, die Einsamkeit begünstigen. Einsamkeitsgefährdet sind auch Menschen, die zu wenig Geld und/oder Zeit für die Pflege ihrer sozialen Kontakte haben. Heutzutage ist jedoch vermehrt von einer «Epidemie der Einsamkeit» oder von «hyperzivilisatorischer Einsamkeit» (Zukunftsinstitut) die Rede. Dieses Phänomen wird auf gesellschaftliche Ursachen wie die folgenden zurückgeführt:

  • Arbeitswelt: Fokus auf Karriere, Leistungsdenken, Homeoffice, Mobilität
  • Individualisierung: Selbstverwirklichung statt Gemeinschaft und Religion
  • Urbaner Lifestyle: anonymes Leben in grossen Städten, mehr Single-Haushalte
  • Demografischer Wandel: weniger Kinder, mehr Trennungen, höheres Alter
  • Digitalisierung: mehr virtuelle Kontakte, weniger persönliche Bindungen

Wir leben in einer Zeit, in der Konkurrenz wichtiger scheint als Kooperation. Das Internet, das die ganze Welt «verbindet», hat zu einem globalen Ranking geführt. Auch die «Sozialen» Medien tragen dazu bei, dass wir uns ständig mit anderen vergleichen. Doch evolutionspsychologisch gesehen ist der Mensch kein*e Einzelkämpfer*in, sondern ein Gemeinschaftswesen. Wir brauchen andere, um uns sicher zu fühlen und weiterzuentwickeln – und sogar, um körperlich und psychisch gesund zu bleiben. 

Massiver Stress und weitere Folgen von Einsamkeit

Auch bestehende soziale Kontakte schützen nicht unbedingt davor, sich einsam zu fühlen. Alexia fühlt sich trotz ihrer Familie häufig einsam – gerade weil sie wegen ihrer kleinen Kinder wenig Zeit und Energie hat, um andere persönliche Beziehungen zu pflegen: «Freundschaften verändern sich, wenn die Kinder kommen.» (Wir Eltern) Und Kinder verändern natürlich auch die Partnerschaft: Zweisamkeit kann sich einsam anfühlen, wenn man sich von dem*der Partner*in über längere Zeit nicht mehr gesehen und verstanden fühlt.
 

Die Verbindung zu anderen Menschen ist überlebenswichtig für uns. Entsprechend erzeugt es grossen Stress, wenn wir uns sozial nicht zugehörig oder sogar ausgeschlossen fühlen. Dieser Stress hat zunächst eine positive Funktion: Er motiviert uns dazu, etwas zu unternehmen, um den unerwünschten Zustand zu ändern (SRF). Wenn dies nicht gelingt und der Stress chronisch wird, kann dies sehr negative Folgen für unsere körperliche und emotionale Gesundheit haben:

  • Schwächung des Immunsystems
  • Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Ein- und Durchschlafstörungen
  • Erhöhtes Risiko für Demenz
  • Erhöhtes Risiko für Depressionen und Angststörungen
  • Geringeres Selbstwertgefühl
  • Gefühl von Sinnlosigkeit oder Hoffnungslosigkeit
  • Verstärkung bestehender psychischer Erkrankungen
Sozial bleiben in einer digitalen Welt

Ein stabiles soziales Umfeld wirkt nachweislich wie ein Gesundheitsschutz: Menschen, die sich sozial eingebunden fühlen, sind stressresistenter und bleiben länger gesund. Sich um Freundschaften zu bemühen, bleibt darum entscheidend, auch – und gerade – in unserer zunehmend digitalen Welt. Im nächsten Beitrag widmen wir uns den möglichen Wegen aus der Einsamkeit, hin zu mehr Verbundenheit.

Lektüretipps
  • Stephanie Hecke: Die stille Gefährtin. Einsamkeit verstehen und überwinden. adeo, 2025.
  • Manfred Spitzer: Einsamkeit – die unerkannte Krankheit. Droemer, 2018.

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